Mandanteninformation
Juli 2024

Öffentliches Bau- und Planungsrecht

1. Keine (nachträgliche) Unwirksamkeit abgegebener Abwendungserklärungen

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2021 (Urt. v. 9.11.2021 – 4 C 1.20) die übliche kommunale Vorkaufsrechtspraxis in Erhaltungssatzungsgebieten als unzulässig eingestuft hat, war in unserer Beratungspraxis vielfach die Frage aufgekommen, ob Abwendungserklärungen, die bereits vor diesem Urteil abgegeben worden waren, noch wirksam sind.

Mit einem jüngst veröffentlichten Urteil der 8. Kammer des Verwaltungsgerichts München (Urt. v. 05.02.2024, Az. M 8 K 23.2455) hat nun erstmals auch ein bayerisches Verwaltungsgericht zu dieser Frage Stellung genommen. Im vorliegenden Klageverfahren begehrten die Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit einer gegenüber der Landeshauptstadt München abgegebenen Abwendungserklärung. Dies wurde u.a. damit begründet, dass sich nach dem Urteil des BVerwG (Urt. v. 9.11.2021 – 4 C 1.20) die der Abwendungsvereinbarung zugrunde liegenden Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Da eine Vertragsanpassung nicht möglich und überdies auch nicht zumutbar wäre, sei die abgegebene Abwendungswirkung unwirksam.

Das Gericht ist der klägerischen Argumentation nicht gefolgt und hat die streitgegenständliche Abwendungserklärung weiterhin als wirksam angesehen. Dies wurde maßgeblich damit begründet, dass die Abwendungsvereinbarung dazu gedient hätte, die zwischen den Parteien bestehenden rechtlichen Ungewissheiten über das Bestehen des Vorkaufsrechts und dem möglichen Inhalt einer Abwendungserklärung zu beseitigen, weshalb das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diese Geschäftsgrundlage nicht nachträglich entfallen lassen könne.

Die Argumentation des Gerichts überzeugt nicht in vollem Umfang. Das Gericht übersieht insbesondere den Umstand, dass in der Verwaltungspraxis der Landeshauptstadt München seinerzeit überhaupt kein Verhandlungsspielraum (und damit auch keine Unsicherheit) seitens der Käufer bestand, da die Stadt offen kommunizierte, dass man Abwendungserklärungen nur gemäß städtischem Muster akzeptiere und andernfalls das Vorkaufsrecht ausüben würde.

Das Urteil der VG München ist bislang noch nicht rechtskräftig. Die Kläger haben Antrag auf Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof gestellt. Demnach bleibt abzuwarten, ob sich der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung des VG München anschließt und die Wirksamkeit der Abwendungserklärungen bestätigt.   

 

2. Änderung der Baumschutzverordnung

Wie bereits in der letzten Mandanteninformation berichtet, wird München seine Baumschutzverordnung ändern. Zwischenzeitlich liegt der Entwurf der neuen Verordnung zur Einsichtnahme aus, Anregungen und Bedenken können im Zeitraum vom 11. Juni bis 10. Juli 2024 gegenüber der Stadt München vorgebracht werden (siehe hierzu https://stadt.muenchen.de/infos/baumschutz-muenchen.html).

Nach dem derzeit ausliegenden Satzungsentwurf sind in der Satzung u. a. die nachfolgenden Änderungen geplant:

  • Unterschutzstellung von lebenden Bäumen und Sträuchern ab einem Stammumfang von 60 cm in Höhe von 100 cm über dem Erdboden, bei mehrstämmigen Gehölzen dann, wenn die Summe der Stammumfänge in 100 cm über dem Erdboden 60 cm und mehr beträgt oder mindestens ein Stamm einen Umfang von mind. 40 cm aufweist
  • Streichung des bisherigen § 1 Abs. 4, wonach Hecken, die als lebende Einfriedungen dienen, sowie Obstgehölze (mit Ausnahme bestimmter Arten) nicht unter den Schutzgegenstand fallen. Hinsichtlich der Hecken enthält die Satzung nunmehr einen Ausnahmetatbestand.
  • Aufnahme einer Regelung, wonach die Verpflichtung zur Ersatzpflanzung erst dann erfüllt ist, wenn die Ersatzpflanzung nach Ablauf von 5 Jahren nach Eingang der Anzeige der Pflanzung angewachsen ist.
  • Aufnahme einer Regelung zur Sicherheitsleistung bei angeordneten Ersatzpflanzungen bis zur Höhe der voraussichtlichen Kosten der angeordneten Ersatzpflanzung.

Neben der erweiterten Unterschutzstellung von Bäumen und Sträuchern enthält der Entwurf in der Anlage B (Gehölzbewertung, Ersatzpflanzungen und Ausgleichszahlungen) insbesondere verschiedene Bewertungskriterien zur Ermittlung der Anzahl und Wuchsklasse der Ersatzpflanzungen sowie zur Höhe der Ausgleichszahlung (bis 20.400 EUR) sowie entsprechende Kombinationsmöglichkeiten von Ersatzpflanzung und Ausgleichszahlung. Zudem wird abzuwarten bleiben, inwieweit die Stadt von der nunmehr in der Verordnung geregelten Möglichkeit der Sicherheitsleitung Gebrauch machen wird.

Unklar ist überdies, wie sich die Novelle der Baumschutzverordnung auf die Feststellungswirkung bereits vorliegender Vorbescheide auswirken wird. Da aktuell nur die Fällung von Bäumen ab 80 cm Stammumfang zulässiger Gegenstand einer Vorbescheidsfrage sein kann, könnte dies zur einer Regelungslücke führen, die im Zuge des Bauantragsverfahrens einer erneuten Prüfung des Baumschutzes erforderlich machen würde. Es empfiehlt sich, im Baumbestandsplan alle Bäume als zu fällen zu kennzeichnen, die vom Bauvorhaben betroffen sind. Bei einem Vorbescheidsantrag sollte die entsprechende Frage zur Fällung um diese Bäume erweitert werden. 

Im Zuge der Planung von Bauvorhaben wie auch beim Ankauf von Grundstücken ist daher zu berücksichtigen, dass hier mit einer Verschärfung der derzeitigen Regelungen zu rechnen ist und vorliegende Vorbescheide insoweit gegebenenfalls keine umfassende Planungssicherheit vermitteln.

 

3. Modernisierungs- und Beschleunigungsprogramm Bayern 2030 und Wohnungsbauoffensive der Landeshauptstadt München

In einer Regierungserklärung vom 13.06.2024 wurde seitens der bayerischen Staatsregierung ein umfassendes Modernisierungsgesetz angekündigt, das noch vor der Sommerpause 2024 in den Landtag eingebracht werden soll. Dieses beinhaltet auch mögliche Vereinfachungen im Baurecht; so sollen z.B. folgende Punkte in der Bayerischen Bauordnung umgesetzt werden:

  • keine Baugenehmigung mehr erforderlich für Dachausbau oder Umwandlung von Büroflächen zu Wohnraum;
  • keine gesetzliche Stellplatzpflicht (kommunale Satzungen ggf. noch möglich) und keine Freiflächen- und Gartengestaltungssatzungen mehr;
  • flexiblere Abstandsflächen;
  • höhere Bagatellgrenzen, durch die z.B. kleinere Terrassenüberdachungen, Kinderspielplätze, Fahrradabstellplätze, PV-Module, Freischankflächen bis 100 m² und Werbeanlagen komplett verfahrensfrei werden.

Abzuwarten bleibt, wie eine konkrete Umsetzung in der Bayerischen Bauordnung erfolgen wird und ob die Maßnahmen auch in der Praxis die gewünschte Wirkung entfalten werden.

Wir können zudem darauf hinweisen, dass auch die Landeshauptstadt ein Maßnahmenpaket zur Förderung des Wohnungsbaus plant. Das von der Stadt erarbeitet 30-Punkte-Programm soll am 10.07.2024 im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung behandelt werden. Neben allgemeinen Maßnahmen wie der Schaffung einer „Taskforce Wohnungsbau“ und der weitergehenden Digitalisierung, Verschlankung und Standardisierung von Bebauungsplanverfahrens werden Maßnahmen für Bauprojekte im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) sowie Vorgaben für die Aufstellung von Bebauungsplanverfahren vorschlagen.

Für Wohnungsbauvorhaben im unbeplanten Innenbereich sind u.a. folgende Maßnahmen geplant:

  • Absenkung des Stellplatzbedarfs bei Vorlage eines Mobilitätskonzeptes auf bis zu 0,1 Stellplatz pro Wohnung (bisher 0,3 Stellplatz pro Wohnung).
  • Anwendung eines Mobilitätskonzeptes auch bei Vorhaben mit weniger als 10 Wohnungen.
  • Schaffung einer (lagebedingten) generellen Stellplatzablöse für Wohnbauvorhaben.
  • Entfall der Ablösepflicht bei Dachgeschossausbauten mit nicht mehr als 5 Wohnungen.

Weitere, über das Thema der Stellplätze hinausgehende, Maßnahmen – wie zB. die Flexibilisierung der Pflicht zur Schaffung von Kinderspielplätzen (insb. Ablösemöglichkeiten) – finden sich in der städtischen Vorlage nicht. Da ein Großteil der Wohnbauvorhaben jedoch im unbeplanten Innenbereich verwirklicht werden, wären hier weitere Maßnahmen wünschenswert.

Für die Aufstellung von Bebauungsplänen sind u.a. folgende Maßnahmen vorgesehen:

  • Im SoBoN-Baukasten soll zusätzlich eine Bindungsfrist für den geförderten, preisgedämpften und den dem Aufteilungsverbot unterliegenden freifinanzierten Wohnungsbau von 55 Jahren (bislang nur 40 Jahre mit 10 Punkten) aufgenommen werden, die mit 25 Punkten zu werten ist.
  • Anhebung der Erstvermietungsmieten im geförderten und preisgedämpften Wohnungsbau.
  • Der Infrastrukturkostenbeitrag (Baustein 4) soll zukünftig in drei Raten gestaffelt werden können (erste Rate mit Inkrafttreten des Bebauungsplans, letzte Rate spätestens mit Baubeginn der letzten ursächlichen Einrichtung im Planungsgebiet).
  • Möglichkeit zur Absenkung der sozialen Wohnraumförderung im Geltungsbereich eines sektoralen Bebauungsplans von 40% auf bis zu 20% aller Wohnungen.
  • Absenkung der städtischen Forderungen in Hinblick auf Immissionsschutz.
  • Der Schwellenwert zur Unterbaubarkeit privater Freiflächen kann im begründeten Einzelfall auf einen unterbauten Flächenanteil der privaten erholungsrelevanten Freiflächen auf bis zu 60 % angehoben werden (statt bisher 40 %).

Ob die Maßnahmen tatsächlich zu der erhofften Förderung des Wohnungsbaus führen werden, ist fraglich. Der von allen erwartete Impuls im Wohnungsbau durch Rückkehr zur SOBON 2017 wurde leider nicht gesetzt. Es ist anzunehmen, dass es hier noch weitergehender Maßnahmen bedürfen wird, um tatsächlich die städtischen Zielvorgaben in Hinblick auf die Schaffung von Wohnraum zu erfüllen.

 

Privates Baurecht, Architektenrecht

Einheitspreisverträge: Obergrenze für Vertragsstrafen unwirksam

Mit Urteil vom 15. Februar 2024 hat sich der BGH neuerlich mit der Obergrenze von Vertragsstrafen in Einheitspreisverträgen befasst. Der BGH hatte bereits mit Urteil vom 23.01.2003 entschieden, dass im Rahmen von Bauverträgen der Auftragnehmer durch eine Vertragsstrafe für die Überschreitung von Fertigstellungs- oder Zwischenterminen dann unangemessen belastet wird, wenn die Gesamtobergrenze für die Vertragsstrafe 5 % des Vergütungsanspruches überschreitet (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01 –). Eine solche Regelung ist unwirksam.

Hieran knüpft die aktuelle Entscheidung des BGH vom 15.02.2024 an. In dem jetzt entschiedenen Fall sieht der BGH die nachfolgende im Rahmen eines Einheitspreisvertrages über Erschließungsleistungen vereinbarte Klausel als unwirksam an:

„2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung … der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:          
[…]
0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;
[…]
2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.“

Der BGH ist der Auffassung, dass eine solche Regelung über die Bezugsgröße der Vertragsstrafe den Auftragnehmer nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 42/22 –, Rn 31). Er begründet seine Entscheidung maßgeblich wie folgt:

„Bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, kann bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-)Auftragssumme im Falle einer – aus unterschiedlichen Gründen (etwa durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Mengen) nicht bloß theoretisch denkbaren – nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von 5 % seines Vergütungsanspruchs – unter Umständen erheblich – übersteigt. Die damit verbundene, den Auftragnehmer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligende und damit zur Unwirksamkeit der Klausel führende Privilegierung des Auftraggebers wird innerhalb der Regelung nicht anderweit, etwa durch einen dem gegenüberstehenden Vorteil für den Auftragnehmer, ausgeglichen. Die Klausel enthält insbesondere auch keine Vorkehrungen (beispielsweise durch einen Vorbehalt oder in anderer geeigneter Weise), durch die der Gefahr einer Überschreitung der für die Vertragsstrafe maßgeblichen Grenze angemessen Rechnung getragen wird.“ (BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 42/22 –, Rn. 41 – 42, juris)

Wir empfehlen daher, die bisher verwendeten Regelungen zu Vertragsstrafen in Vertragsmustern zu überprüfen und erforderlichenfalls anzupassen.

 

Mietrecht

1. Gewerbemietvertrag und vereinbarter Mietzweck

Der Vermieter hat das Mietobjekt regelmäßig in einem für den vereinbarten Vertragszweck genehmigten bzw. genehmigungsfähigen Zustand an den Mieter zu übergeben, so das Kammergericht Berlin (KG, Urteil vom 23.03.2023, Az. 8 U 172/21).

Im konkreten Fall hatte der Vermieter Räume zum Betrieb einer Kindertagesstätte vermietet. Dem Mieter wurde die erforderliche Betriebserlaubnis aufgrund eines fehlenden Fluchtweges nicht erteilt. Für den Fall einer Betriebsaufnahme der Nutzung als Kindertagesstätte kündigte die Behörde eine sofortige Untersagungsverfügung an. Das Kammergericht bestätigte die dem Mieter deswegen zustehenden Mängelrechte und bejahte ein Minderungsrecht des Mieters um 100%, aufgrund der konkret drohenden Untersagungsverfügung.

Es gehört zu den Hauptpflichten des Vermieters, die Mietsache in einem für den vereinbarten Vertragszweck geeigneten und öffentlich-rechtlich ordnungsgemäßen Zustand zu übergeben. Mängelrechte, insbesondere das gesetzliche Minderungsrecht, kann der Mieter berechtigterweise aber solange nicht für sich in Anspruch nehmen, wie ein Verstoß gegen öffentliches Recht zwar besteht, behördenseits aber geduldet oder zumindest nicht verfolgt wird. Erst wenn die Behörde tatsächlich eingreift oder ein solches Eingreifen konkret in Aussicht stellt, kann ein Minderungsrecht des Mieters entstehen.

 

2. Wohnraummietvertrag, Schönheitsreparatur- und Quotenabgeltungsklausel

Seit einer wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015 gelten formularvertragliche Quotenabgeltungsklauseln in Bezug auf Schönheitsreparaturen in Wohnraummietverträgen allesamt als unwirksam.

In einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Unwirksamkeit einer Quotenabgeltungsklausel im Mietvertrag nicht auch zur Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklausel führt (BGH, Beschluss vom 30.01.2024, Az. VIII ZB 43/23). Bis zur BGH-Entscheidung von 2015 enthielten Wohnraummietverträge regelmäßig eine Klausel, wonach der Mieter zur Vornahme von Schönheitsreparaturen während der Mietzeit verpflichtet ist, kombiniert mit einer Quotenabgeltungsklausel zur anteiligen Kostentragung des Mieters für Renovierungsteilzeiträume. Mit der aktuellen Entscheidung betont der BGH, dass die – unwirksame – Quotenabgeltungsklausel zwar notwendigerweise auf der Schönheitsreparaturklausel aufbaut. Die Schönheitsreparaturklausel ist aber vollständig trennbar von der unwirksamen Quotenabgeltungsklausel und wird von deren Unwirksamkeit nicht infiziert. Der Mieter bleibt also weiterhin zur Vornahme der Schönheitsreparaturen verpflichtet.