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Juli 2022

Öffentliches Baurecht

Neue Auflage des Praxiskommentars BauGB/BauNVO 

Wir freuen uns, mitteilen zu können, dass jetzt die 4. Auflage des Praxiskommentars BauGB/ BauNVO erhältlich ist, an welchem wir als Her-ausgeber und Autoren mitgewirkt haben. Der Praxiskommentar ist https://www.beck-shop.de bestellbar. Dieser aktuelle Praxiskommentar berücksichtigt sämtliche Änderungen, die im Zuge der letzten BauGB-Novellierung (Baulandmobili-sierungsgesetz) beschlossen wurden. Behandelt werden darin alle wichtigen neuen Themen, wie etwa die Erweiterung des Vorkaufsrechtes, der sektorale Bebauungsplan oder aber auch die Thematik des Aufteilungsverbotes des § 250 BauGB. Natürlich wurde auch die gesamte Rechtsprechung durch die Autoren nachgezogen. Allen Praktikern steht somit eine wertvolle aktuelle Arbeitshilfe zur Verfügung. 

In dieser Hinsicht wurde jetzt von Seiten der Staatsregierung eine Verordnung auf den Weg gebracht, in welcher Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt in Bayern bestimmt werden. Diese Verordnung gem. § 201a BauGB soll nach der Sommerpause vom Kabinett beschlossen und anschließend in Kraft treten. Die-se Verordnung ist Voraussetzung u.a. dafür, dass nunmehr größerer Freiheiten bei der Erteilung von Befreiungen gem. § 31 Abs. 3 BauGB für Wohnbauvorhaben bestehen. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob die Grundzüge der Planung noch gewahrt sind. Viele Genehmigungs-behörden können nun im Einvernehmen mit den Gemeinden großzügigere Baurechte zulassen, ohne dass in einem langwierigen Planungsverfahren Wohnbaurechte erst neu geschaffen werden. Speziell für München bedeutet dies, dass, sollten entsprechende Befreiungen für Wohnbaurechte erteilt werden, diese voraussichtlich unter den Vorbehalt der anteiligen Herstellung von Förder-wohnungen (derzeit 40 %) gestellt werden. 

Mit Spannung erwartet wird die zweite wichtige Verordnung der Staatsregierung gem. § 250 Abs. 1 S. 3 BauGB, die Voraussetzung für einen Genehmigungsvorbehalt von Aufteilungen von bestehenden Wohngebäuden auch außerhalb von Erhaltungssatzungsgebieten ist. Denn damit dürfte die Aufteilung von Bestandswohngebäuden wohl weitgehend zum Erliegen kommen. 

Rechtsprechung: Stellplatzablöse 

Auf folgende interessante Gerichtsentscheidung ist hinweisen, die sich mit der Wirkung einer Stellplatzablöse befasst. Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 25.08.2021, Az. 4 B 3.21) hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung festgestellt, dass sich eine Gemeinde bei abgelösten Stellplätzen im Falle einer Nutzungsänderung oder bei einem Neubau nicht vorbehalten kann, ob diese abgelösten Stellplätze bei einem späteren Bauvorhaben angerechnet werden oder nicht. Dies gilt auch, wenn es hierzu einen Vertrag gibt. Das Gericht kommt zum Ergebnis, dass eine Stellplatzablöse nicht vorhabenbezogen, sondern grundstücksbezogen zu sehen ist. Insoweit bleiben die Rechts-wirkungen einer Ablöse auch bei einer späteren Nutzungsänderung, bei einem Eigentümerwechsel oder einem späteren Untergang der Anlage, d.h. bei einem Neubau, erhalten. Somit können entsprechend abgelöste Stellplätze zu einem späteren Zeitpunkt unabhängig von einem Stell-platzablösevertrag, den das Gericht insoweit als unwirksam ansah, in Ansatz gebracht werden. Innerhalb der Verjährungsfrist dürfte damit auch eine entsprechende Rückforderung von „zuviel“ abgelösten Stellplätzen gerechtfertigt sein, da das Gericht von der Unwirksamkeit des Vertrages ausgeht und somit von ohne Rechtsgrund erbrachten Leistungen.

Privates Bau- und Architektenrecht 

Mindestsatzregelung in § 7 HOAI 2013 (wohl) weiterhin wirksam 

Gemäß Urteil des EuGH vom 04.07.2019 (Baurecht 2019, 1624) war die Festsetzung von Mindest- und Höchstsätzen in der HOAI, Fassung 2013 mit der Dienstleistungsrichtlinie nicht vereinbar. Hierauf ergingen diverse kontroverse Urteile von Oberlandesgerichten zur Frage, ob die Entscheidung des EuGH auf laufende inländische Vertragsverhältnisse zwischen privaten Subjekten anzuwenden ist, die vor dem Urteil begründet wurden. Im Zuge eines Verfahrens vor dem VII. Senat des BGH hatte das Gericht die Frage zu klären, ob der Mindestpreischarakter trotz der Entscheidung des EuGH weiterhin für laufende Verträge gilt oder aber eine unter-halb des Mindestsatzes liegende Pauschalhonorarvereinbarung wirksam ist und die Aufstockungsklage des Planers folglich erfolglos wäre und stellte an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen u.a. zur Frage, ob die Entscheidung des EuGH auch im Rahmen eines laufen-den Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen eine unmittelbare Wirkung derart entfaltet, dass die einer Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelung in § 7 HOAI 2013 nicht mehr anzuwenden sind. 

Mit Urteil vom 18.01.2022 hat der EuGH entschieden, dass weder das Unionsrecht in Form der Dienstleistungsrichtlinie noch das frühere Urteil im Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD einer weiteren Anwendung der Mindestsätze der HOAI 2013 in Streitigkeiten zwischen Privaten entgegenstehen. Konkret führte der EuGH im vorgenannten Urteil aus: 

  • Eine Bestimmung einer Richtlinie, selbst wenn sie klar, genau und unbedingt ist, gestattet es dem nationalen Gericht nicht, eine dieser Bestimmung entgegenstehende Bestimmung seines inner-staatlichen Rechts auszuschließen, wenn aufgrund dessen einer Privatperson eine zusätzliche Verpflichtung auferlegt würde. 
  • Daraus folgt, dass ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine Bestimmung seines nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn die zuletzt genannte Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat. 
  • Das vorlegende Gericht (BGH, Anmerkung des Unterzeichners) ist daher nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, § 7 HOAI unangewendet zu lassen, auch wenn diese Regelung gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2, Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstößt. 

Im Ergebnis hat also der EuGH der deutschen Gerichtsbarkeit die Entscheidung überlassen, ob sie die verbindliche Mindestsatzregelung weiter-hin angewendet. 

Mündlicher Bedenkenhinweis ausreichend? 

Gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Aus-führung etc. schriftlich mitzuteilen. In seinem Urteil vom 29.07.2021 (Baurecht 2022, 652) stellte das OLG Brandenburg allerdings klar, dass ein mündlicher Bedenkenhinweis keines-falls unerheblich ist. Vielmehr reiche ein mündlicher Hinweis aus, wenn dieser eindeutig, inhaltlich klar, vollständig und erschöpfend ist. Das bedeutet, dass der Auftragnehmer die nachteiligen Folgen und die sich daraus ergebenen Ge-fahren der unzureichenden Vorgaben konkret darzulegen hat, damit dem Auftraggeber die Tragweite der Nichtbefolgung hinreichend verdeutlicht wird. Erfüllt der Bedenkenhinweis diese Voraussetzung, reicht entgegen dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 VOB/B auch ein mündlicher Hin-weis aus.

Wann liegt ein Bauvertrag gemäß § 650 a BGB und wann ein Verbraucherbauvertrag gemäß § 650 i BGB vor? 

Die Unterscheidung zwischen einem Bauvertrag und einem Verbraucherbauvertrag ist von wesentlicher Bedeutung, da bei einem Verbraucherbauvertrag an den Auftragnehmer höhere Anforderungen gestellt werden, so z.B. die Pflicht zur Vorlage einer Baubeschreibung gemäß § 650 j BGB, dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gemäß § 650 l BGB zusteht, Sonder-regelungen betreffend Abschlagszahlungen gemäß § 650 m BGB bestehen etc. 

Nach der wohl herrschenden Meinung, so auch das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 16.11.2021 (Baurecht 2022, 656), liegt ein Verbraucherbauvertrag gemäß § 650 i BGB im Falle von erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude nur vor, wenn das Vertragsvolumen dem eines Vertrags über die Er-richtung eines Neubaus gleichkommt sowie, wenn der Verbraucher grundsätzlich mit sämtlichen der von ihm geplanten Baumaßnahmen nur einen einzigen Unternehmer beauftragt hat. 

Umbaumaßnahmen an einem Bestandsgebäude können erst dann als „erheblich“ angesehen werden, wenn sie in ihrem Umfang einem Neu-bau gleichkommen und somit mehrere Gewerke umfassen. Auf jeden Fall müsse der Verbraucher alle Gewerke, die er im Rahmen seines Vorhabens beauftragen will, an einen Unternehmer übertragen, denn im gleichgestellten Fall eines Vertrags über den Bau eines neuen Gebäudes wäre dies ebenso. 

Demgegenüber hat das OLG Hamm mit Urteil vom 27.04.2021 (Baurecht 2022, 485) im Zusammenhang mit einem Neubau eines Gebäudes eine andere Auffassung vertreten. Nach seiner, dem Urteil des Kammergerichts widersprechen-den Rechtsauffassung, liegt beim Neubau eines Gebäudes auch dann ein Verbrauchervertrag vor, wenn der Verbraucher das Bauvorhaben in mehrere Bauverträge aufspaltet, die er mit mehreren Unternehmern isoliert abschließt, sofern die Beauftragung zeitgleich oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Erstellung eines neuen Gebäudes erfolgt, die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich ist und die Gewerke zum Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen. 

Eine klärende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser streitigen Frage steht noch aus.

Mietrecht, Wohnungseigentumsrecht 

Mietvertrag und gesetzliche Schriftform 

Die gesetzliche Schriftform, § 550 BGB, ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Insbesondere bei Anlagen und Nachträgen zum Mietvertrag ist auf die Einhaltung des Schriftformerfordernisses zu achten, wenn eine vereinbarte Festmietzeit von über einem Jahr wirksam gelten soll. 

Das OLG Brandenburg hat eine Verletzung der gesetzlichen Schriftform festgestellt, wenn der Mietvertrag hinsichtlich der Ausstattung des Mietobjekts auf eine Anlage verweist, aus dieser Anlage eine hinreichende Beschreibung der Ausstattung aber nicht erkennbar ist. Die vereinbarte Festmietzeit war aufgrund des Schriftformverstoßes unwirksam, das gewerbliche Mietverhältnis war deshalb jederzeit ordentlich kündbar. Die streitgegenständliche Kündigung ist wirksam erfolgt (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2022, Az. 3 U 110/20). 

In einem Fall vor dem LG Köln umfasste der ursprüngliche Mietvertrag diverse Anlagen, unter anderem Lagepläne zur näheren Bezeichnung des Mietgegenstands. In einem späteren Nachtrag vereinbarten die Parteien, dass dieser Nachtrag alle bisherigen Regelungen und Vereinbarungen über die vermieteten Flächen ersetzen soll. Lagepläne wurden mit diesem Nachtrag nicht verbunden. Das Gericht erkannte auf eine Verletzung der gesetzlichen Schriftform, weil alle bisherigen Regelungen aufgehoben waren, dies galt auch für die ursprünglichen Anlagen. Dies führte zur Unwirksamkeit der vereinbarten Festmietzeit. Die erklärte ordentliche Kündigung ist demzufolge wirksam erfolgt (LG Köln, Urteil vom 23.12.2021, Az. 27 O 189/20). 

WEG-Beschluss und öffentliches Recht 

Ein Beschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft, der im Widerspruch zu bauordnungsrechtlichen Vorschriften steht, kann nichtig sein, so der Bundesgerichtshof. Im konkreten Fall beschloss die WEG-Versammlung die Duldung des regelmäßigen Haltens von Lieferfahrzeugen in der Feuerwehrzufahrt auf dem WEG-Grundstück. Dem BGH zufolge kommt es auf den Schutzzweck der verletzten Rechtsvorschrift an, ob ein Beschluss nur anfechtbar oder eben nichtig ist. Wenn – wie hier – die verletzte Norm gerade dem Schutz der Wohnungs-eigentümer dient (Brandschutz, Gefahrenabwehr), ist der Beschluss nach Überzeugung des BGH nichtig. Für eine bloße Anfechtbarkeit des Beschlusses sieht der BGH keinen Raum (BGH, Urteil vom 28.01.2022, Az. V ZR 106/21).